Was soll ich nur anbauen?

Verführerische alten Sorten

Letztes Jahr wollte ich mir endlich einen lang gehegten Garten Wunsch erfüllen: Weg von Standard Gemüsesorten und stattdessen Sortenvielfalt. Am liebsten historische und/ oder ungewöhnliche,regionale und natürlich samenfeste Sorten anbauen. So weit, so gut. Nur, welche Sorten genau will ich anbauen? Leider lesen sich die Beschreibungen der Saatguthändler im Internet ähnlich wie Arbeitszeugnisse: „Geschmackvoll“, „aromatisch“ „fruchtig mild“ lautet die Beschreibung. Oder einfach „wie früher“- immer schön positiv, der weiteren Karriere des Gemüses soll wohl nichts im Wege stehen.  Da ich mit historischen Tomaten vor einigen Jahren bereits ein Desaster erlebt habe weiß ich, dass bei diesen Lobeshymmnen Vorsicht geboten ist. Gibt es bei den Beschreibungen vielleicht einen geheimen Code? Um den zu knacken begebe ich mich auf die Suche:

Sortenvielfalt Karotten
Sortenvielfalt Kartoffeln
Sortenvielfalt Radieschen

In der Samenhandlung

Am liebsten möchte ich mich vor Ort von erfahrenen Gärtnern beraten lassen. Mein erster Weg führt mich in die Innenstadt. Zu meinem Glück gehört zu einem der letzten Eigentümer geführten Geschäfte in der Fußgängerzone eine Samenhandlung. Der Gründer verkaufte hier vor hundert Jahren hauptsächlich selbst vermehrtes Saatgut. Heute ist das Geschäft immer noch in Familienhand. Verkauft werden aber hauptsächlich Standardsorten der üblichen Hersteller, immer mit kompetente Beratung. „Tja“ antwortet die Verkäuferin auf meine Frage nach alten Sorten, „das ist mit den historischen Samen wie mit den Kochbüchern: Die Leute kaufen Kochbücher wie verrückt, aber gegessen wird Junkfood. Über historische Sorten wird auch vor allem geredet.“ Der Anbau sei vielen Leuten dann doch zu umständlich. Oje, diese Einschätzung will so gar nicht zum allgegenwärtigen Hype um die alten Sorten passen. „Umständlich“ stand in keiner Beschreibung! Natürlich verkauft auch die Händlerin in ihrem Laden alte samenfeste (Bio) Samen, teilweise sogar aus der Region. Aber eben nur alt bewährtes wie die Gurke „Vorgebirgstraube“. Zum (Wieder-)Entdecken traditioneller Sorten ist ein Traditionsgeschäft offensichtlich nicht der richtige Ort.

 

Saatgutfestival in Köln

Ein Saatgutfestival müsste doch genau das Richtige sein: Sortenvielfalt und richtig gute Beratung von absoluten Profis - so meine Hoffnung, als ich mich letztes Jahr im Februar auf den Weg nach Köln mache. Doch bereits im Eingangsbereich wird klar: Bei dem Ansturm wird es mit der Beratung schwierig. Die Stände sind dermaßen belagert, dass die Händler kaum mit dem Kassieren hinterher kommen.

Als erstes versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen – und finde mich kurze Zeit später im Kartofffel-Paradies wieder. Der Hof Jeebel hat groß aufgefahren: Unzählig viele Sorten liegen bereit, alle offen, so dass ich mir meine eigene Auswahl zusammen stellen kann. Da die Braunfäule bei mir immer ein großes Problem ist hatte ich mir vorgenommen, nur noch widerstandsfähige Sorten anzubauen. Diesen Vorsatz gebe ich schnell auf: Zu schön sehen die lila und weinroten Vertreter der Kartoffel aus, zu lecker klingen die Beschreibungen. Auch hier gilt wieder das Arbeitszeugnis Prinzip: Es gibt „aromatische“, „sehr gute“ „hervorragende“ und „Gourmet“ Kartoffeln. Hätte ich mich nur vorher informiert! In diesem Gedränge eine sorgfältige Auswahl zu treffen, geschweige denn Beratung zu finden, ist leider nicht möglich. So achte ich nur darauf, das die Kategorien Früh, Mittel und Spät gleichermaßen vertreten sind. Was ich genau pflanze, will ich zu Hause entscheiden.

Bei den Tomaten geht es mir ähnlich: Eine Wahnsinn Auswahl und viel Gedränge. Da ich mich nicht entscheiden kann, gehe ich mit ein paar Saatgutmischungen und zwei Päckchen Wildtomaten wieder nach raus.

Endlich, ein Raum mit regionalem Saatgut, etwas weniger Andrang und einem Händler, der Zeit für einen kleinen Plausch hat. In diesem Jahr möchte ich es noch einmal mit dem Anbau von Mais versuchen, der bei mir bisher nicht sehr erfolgreich war. „Wenn Sie weniger als 30 Stück anbauen, müssen Sie den Mais von Hand bestäuben.“ Habe ich gemacht, hat aber nicht funktioniert! „Das müssen Sie morgens, in der Dämmerung machen. Nur dann gibt der Mais seinen Samen frei.“ Aha. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich im Morgentau in den Garten gehen. Am Horizont die ersten hellen Streifen, der erste Vogel stimmt sein Lied an... Wann genau müsste ich den Wecker stellen? Egal, gern kaufe ich das Tütchen „True Sweet Gold“, das er mir als Einsteiger Sorte empfiehlt.

Dann noch zum Stand von Dreschflegel. Dreschflegel bietet „alte Sorten und Neuzüchtungen aus langjährig biologischer Kultur“, sowohl altbekannt/bewährtes als auch unbekannte regionale Sorten. Nach diesem Vormittag im Gedränge bin ich nur noch so aufmerksam wie ein kleines Kind: Nach dem Motto „Hauptsache bunt“ erstehe ich bei Dreschflegel noch ein paar ungewöhnlich gefärbte Karotten und „Rote“ Beete in gelb und rosa weiß geringelt - und dann will ich nur noch hier raus!

Zuhause sortiere ich zuerst meine Kartoffeln. Da ich viel zu viel für meinen kleinen Garten erstanden habe gibt es Zertifizierte Bio-Pflanzkartoffeln zum Abend essen. Auf meinem Teller liegen die alten Gourmet Sorten „Duke of York“ „Belle de Fontenay“„Bamberger Hörnchen“, und „Vitelotte“, außerdem Heideraot, eine Neuzüchtung. Ein ziemlich teures Abendessen, aber so kann ich meine Neugier gleich befriedigen und muss nicht bis zur Ernte warten.

Zwei Sorten stechen geschmacklich heraus: die „Bambergerhörnchen“erinnern sowohl im Geschmack als auch in der Konsistenz an Esskastanien, extrem lecker! Heidrot, im Katalog als aromatisch beschrieben, finde ich etwas langweilig. Offensichtlich bedeutet „aromatisch“: die Kartoffel hat sich Mühe gegeben. Aber Saatkartoffen lagern schon eine Weile, vielleicht schmeckt es frisch aus meinem Garten ja ganz anders.

Während die anderen Saatkartoffeln in den folgenden Wochen zu keimen beginnen, ergänze ich meine Samenvorräte noch durch einige Spontankäufe.

 

Bioläden und Supermärkte

In vielen Bioläden gibt es Ständer mit samenfestem Biosaatgut jenseits der Standardsorten. In Österreich, wo „Arche Noah“ sehr aktiv ist, stolpere ich im ganz normalen Supermarkt über ein paar Samenschätze. Im Laufe des Frühjahrs ergänze ich mein Sortiment um bunte Radieschen, lila Winterrettich, gesprenkelte Bohnen und rot überlaufener Kopfsalat.

 

Enttäuschungen und neue Lieblingssorten

Radieschen und Karotten aus der Erde ziehen ohne zu wissen, welche Farbe mich erwartet. Fast jede Woche eine neue Kartoffelsorte auf meinem Teller – ganz klar, Sortenvielfalt macht Spaß. Aber es gab auch viele Enttäuschungen, denn allzu oft kam statt der Karotte nur eine bleistiftdicke, harte Wurzel zum Vorschein. Oder die schön geringelte Rote Beete sieht zwar aus wie ein Lolli, aber schmeckt wie gammlige Kartoffeln. Und leider ist das halbe Beet voll mit dieser Sorte…. .Meine Erfahrungen im Einzelnen:

 

Sortenvielfalt Rettich
Hilds Blauer - eine echte Entdeckung
Sortenvielfalt Rote Beete
Schön sind sie schon, geschmeckt hat mir nur der rote Klassiker
Der "rote Butterhäupel" im Januar - sehr zart und erstaunlich frostfest
Der "rote Butterhäupel" im Januar - sehr zart und erstaunlich frostfest

Kartoffeln: Die Frühkartoffeln sind alle gut gewachsen, aber die Unterschiede im Ertrag sind beträchtlich. Bekannte Sorten wie Linda und Siglinde brachten die besten Erträge. „Linzer Delikatess" war die einzige von den alten Sorten, die geschmacklich etwas herausstach. Aber der Ertrag war so gering, das ich sie nicht noch einmal anbauen werde. Von den späten alten Gourmet Sorten haben ich keine einzige Knolle geerntet. Meine neuer Liebling: die Heiderot. Die, von der ich dachte sie gibt sich nur Mühe. Anders als die überzählige Saatkartoffel schmeckte die Ernte aus meinem Garten ganz hervorragend, schön und robust ist sie außerdem.

Rote Beete: Die bunten Sorten sind gesund gewachsen und brachten gute Erträge, sehen außerdem extrem gut aus – nur geschmeckt haben sie mir nicht. Die Rote Kugel für mich immer noch unschlagbar.

Möhren: Colorado sah nicht so spektakulär aus wie erhofft. Große Ernteausfälle, denn trotz später Aussaat sind viele Pflanzen gleich in die Blüte gegangen. Die „Pfälzer Gelbe“ brachte dagegen gute Erträge, geschmacklich in Ordnung. Die rote „Red Samurai“ war sowohl im Ertrag als auch im Geschmack ganz ordentlich. Eine neue Lieblingssorte war nicht dabei.

Mais: Ist wieder nichts geworden. Vielleicht weil ich die Bestäubung in der Dämmerung verschlafen habe.

Tomaten: zu dem Thema gibt es einen eigenen Artikel

Linda vs. Linzer Delikatess
Links der Ertrag von einer Linda, rechts Linzer Delikatess
Die Rote ist die "Heiderot", meine neue Lieblingssorte
Die Rote ist die "Heiderot", meine neue Lieblingssorte
Auch bei den Tomaten habe ich neue Lieblingssorten entdeckt
Auch bei den Tomaten habe ich neue Lieblingssorten entdeckt

 

Die mit Abstand beste Erfolgsquote hatte ich mit meinen Spontankäufen aus Bio- bzw Supermarkt. Gute Erträge brauchte alles, zwei Sorten haben mich wirklich begeistert: Der Herbstrettich „Hilds Blauer“ und der Kopfsalat „Roter Butterhäupel“. Letzterer steht jetzt (Ende Januar!) noch auf meinen Beeten und erfreut mich mitten im Winter mit frischen Blättern.

Ein bisschen ernüchtert bin ich nach diesen Versuchen schon, denn im Grunde hatte die Dame aus der Samenhandlung recht: Auch ich rede, (bzw. schreibe) hauptsächlich über die alten und seltenen Sorten - gegessen habe ich - mit einigen Ausnahmen - nur die üblichen Verdächtigen. Zu viele Sorten brachten nur bescheidene Erträge oder trafen nicht meinen Geschmack.

 

Was ich daraus gelernt habe...

Ich glaube, ich habe den Code der Saatgut-Kataloge geknackt! Wer anständig ernten will sollte auf die Adjektive „robust“ und „ertragreich“ achten. Oder „weit verbreitet“ und „beliebt“. Alles andere ist eher was für Liebhaber. Die Geschmacksbezeichnungen, auch wenn sie noch so verführerisch klingen, sind überflüssig. Bei spezialisierten Händlern, z.B. bei Kartoffeln oder Tomaten, muss besonders sorgfältig recherchiert werden. Hier werden natürlich viele Liebhaber Sorten angeboten, die viel Pflege erfordern und in kleinen Gärten zu wenig Ertrag bringen.

Bei begrenzter Anbaufläche haben Standardsorten durchaus ihre Berechtigung. Zum Experimentieren sollte ich mit meinem kleinen Garten nicht mehr als 20% der Beetfläche opfern.

 

... und was nicht

Februar ist die Zeit der Saatgutfestivals und dieses Jahr informiere ich mich und kaufe nur robuste Sorten. Aber auf meiner Liste stehen trotzdem 12 Kartoffelsorten, die ich unbedingt probieren will. Und Tomaten in allen erdenklichen Farben und Formen, mindestens 10 verschiedene Sorten, alle ganz bestimmt sehr ertragreich. Hoffen wir, das es stimmt. Denn für die sicheren Standardsorten bleibt kaum noch Platz...

 

Noch ein paar Links

Auch wenn meine Sortenliste schon übervoll ist, freue ich mich über Tipps und Erfahrungen von euch. Habt ihr mit irgendwelchen Sorten besonders gute Erfahrungen? Kennt jemand zufällig eine empfehlenswerte Annanas Tomate? Robust, lecker und ertragreich?